Luftbeben : an den Quellen des Terrors

Sloterdijk, Peter, 2002
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Medienart Buch
ISBN 978-3-518-12286-0
Verfasser Sloterdijk, Peter Wikipedia
Systematik LPE - Primärliteratur Philosophie
Schlagworte Terror, Atomterrorismus
Verlag Suhrkamp
Ort Frankfurt am Main
Jahr 2002
Umfang 110 S.
Altersbeschränkung keine
Auflage 1.Auflage
Sprache deutsch
Verfasserangabe Peter Sloterdijk
Annotation Wer den Titel dieses Buches liest, denkt unmittelbar an die Anschläge vom 11. September letzten Jahres. Nun nimmt Sloterdijk wohl Bezug darauf und befürwortet in einer Fußnote auch die "Organisierung von Maßnahmen polizeilicher, notfalls auch militärischer Natur" gegen Gruppen, die solche Attentate verüben. Er verwehrt sich aber gegen die Sprachregelung, die den Terrorismus selbst als Gegner sieht. Dieser sei eine Kampfmethode, "Krieg gegen den Terrorismus" daher eine Nonsenseformulierung. Sloterdijk beschreibt Terrorismus als eine Art der Kriegsführung, die auf die Zerstörung der "umweltlichen Lebensbedingungen" des Feindes zielt. Bekannt sei diese Methode aus früheren Jahrhunderten (Verpestungsanschläge, Ausräucherungen, Trinkwasseranschläge), doch erst im 20 Jahrhundert sei "das Prinzip des Angriffs auf die Umwelt und die Immunverfassung eines Organismus oder einer Lebensform in vollendeter technischer Explikation zur Darstellung gekommen" (S. 28). Insbesondere ziele dieser Terrorismus auf die "unmittelbarste Umgebungsressource eines menschlichen Organismus, seine Atemluft". Sloterdijk spricht daher von "Atmoterrorismus". Er beschreibt, wie sich diese Praxis des Terrors im Laufe des 20. Jahrhunderts geändert hat: von den ersten Giftgasangriffen im ersten Weltkrieg über den "Bombenterror" aus der Luft im zweiten Weltkrieg bis hin zum Abwurf der ersten Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki sowie den Einsatz von chemischen Entlaubungsmitteln im Vietnamkrieg. Seine "äußerste exterministische Zuspitzung" habe dieser technikgestützte Terrorismus in der deutschen "Judenpolitik" nach 1941 gefunden, so der Philosoph. Beklemmend hier die vom Autor beschriebene Übernahme nicht nur der in der Zwischenkriegszeit entwickelten Praktiken der Entwesung und Seuchenbekämpfung in den Gaskammern des Holocaust, sondern auch der Schädlings- und Ungeziefermetaphorik. ("Die Juden sind die Läuse der zivilisierten Menschheit", wird Goebbels zitiert.) Indem Sloterdijk die Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts in Erinnerung ruft, setzt er unausgesprochen diesen "staatlichen Terrorismus" in ein die Terroranschläge des letzten Jahres relativierendes Verhältnis und demaskiert zugleich die neu aufflammende Gut-Böse-Rhetorik. Dass das Luftbeben auch im 21. Jahrhundert fortdauern werde, beschreibt der Autor anhand von Pentagonunterlagen über die Entwicklung neuer neurotelepathischer Waffen, die die Psyche des Gegners demoralisieren, und sogenannter Wetterwaffen, die das Wetter auf dem Feindesland negativ beeinflussen sollen. Er skizziert damit eine weitere Bestimmung von Terrorismus: die permanente "Ausweitung der Kampfzone", um den Gegner zu übervorteilen. Auf die Anschläge von 11. September anspielend, unterscheidet Sloterdijk in seiner Kritik an der Perversion moderner Rüstung zwei Arten von Schläfern: jene die weiter "nach Geborgenheit durch Nicht-Wissen suchen", und jene "die wissen, was an der Front geplant ist, und auf den Einsatzbefehl warten" (S. 69). Nur vordergründig aufgesetzt wirkt da das letzte mit "Air/Condition" überschriebene Kapitel, in dem Sloterdijk auf den menschengemachten Treibhauseffekt, der zum Umweltkrieg gegen uns selbst werden könnte, sowie auf die für unsere Großgesellschaften bezeichnenden, massenmedial erzeugten "Atmosphären". Was der Autor an Hermann Brochs Theorie der "Dämmerzustände" sowie an den Warnungen von Karl Kraus vor medial erzeugten Kriegsstimmungen ausführt, hat durchaus auch aktuelle Bezüge. Derart "strategisch erzeugte Tendenzklimata" führten zur Ausbildung geschlossener Atmosphären und bildeten das "informatorische Analogon zur chemischen Kriegsführung" (S. 103). Ein wichtiges Buch, erinnert es uns doch daran, dass gerade unsere sogenannten Hochkulturen alle "ihre Leichen im Schrank haben". Sloterdijk gelingt überdies eine scharfsichtige Demaskierung jener unheiligen sich immer mehr ins Monströse steigernden Allianz aus Technik und Gewalt - Herrschafts- und Technikkritik ganz im Jungkschen Sinne, die wir nötigst brauchen, um aus dem "Schläferdasein" zu erwachen. Andeutungsweise zeigt uns der Philosoph mit Rekurs auf Heidegger auch den Ausweg - er nennt es "Therapie" -, nämlich die "Neu-Einrichtung menschengerechter Maßverhältnisse nach dem Einbruch des Maßlosen - subtile Baukunst für Lebensräume nach der Demonstration des Unlebbaren". (S. 62). *Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen* Hans Holzinger Weitere Informationen über ProZukunft, dem Navigator durch die aktuellen Zukunftspublikationen finden Sie auf www.jungk-bibliothek.at/prozukunft

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